Aktion
„Anglizismus des Jahres“
Pressemitteilung
„Crowdfunding“
ist Anglizismus des Jahres 2012
Positiver
Beitrag des Englischen
Neue
Begriffe für neue gesellschaftliche Phänomene
Deutsche
Sprache nicht von Anglizismen bedroht
BERLIN, 4.3.2013. Crowdfunding ist
der „Anglizismus des Jahres 2012“. Eine unabhängige Jury um den Berliner
Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch wählte das Wort aus rund sechzig
Vorschlägen. „Das Wort füllt eine Lücke im deutschen Wortschatz, die durch das
Aufkommen einer neuen Art der netzgestützten Kapitalbeschaffung entstanden ist.
Es hat sich im Laufe des letzten Jahres im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert
und gut in die Struktur des Deutschen eingefügt“, begründete die Jury ihre
Entscheidung.
Mit der Wahl zum „Anglizismus
des Jahres“ wird seit 2010 der positive Beitrag des Englischen zur Entwicklung
des deutschen Wortschatzes gewürdigt. „Im deutschen Sprachraum ist die
Vorstellung sehr weit verbreitet, dass Lehnwörter – vor allem, wenn sie aus dem
Englischen stammen – den Fortbestand der deutschen Sprache bedrohen“, sagt
Stefanowitsch. „Die Entlehnung von Wörtern ist aber ein natürlicher Prozess,
mit dem Sprachgemeinschaften schon immer den Wortschatz ihrer Sprachen
erweitert haben, ohne dass diese Schaden genommen hätten.“ Dass das Englische
derzeit eine intensiv genutzte Quelle für Lehnwörter sei, so Stefanowitsch
weiter, liege an seiner Rolle als internationale Verkehrssprache.
Um Anglizismus des Jahres
zu werden, muss ein englisches Lehnwort eine Lücke im Wortschatz füllen, über
eine breite Akzeptanz im Sprachgebrauch verfügen und gut in die lautliche und
grammatische Struktur des Deutschen integriert sein. Das diesjährige Siegerwort
Crowdfunding überzeugte in allen drei Kategorien. Es bezeichnet eine
Methode der Kapitalbeschaffung, bei der viele Menschen über eine
Internetplattform jeweils eine relativ kleine Summe beisteuern, um ein Projekt
oder Produkt zu finanzieren. „Das Wort hat sich im vergangenen Jahr erstmals
auf breiter Ebene im Sprachgebrauch durchgesetzt und kann sich dort an das
bereits etablierte Crowdsourcing anlehnen“, sagt Jurymitglied Kristin
Kopf. Dass es sich gut in die deutsche Sprache integriert habe, so
Stefanowitsch, zeige sich außerdem daran, dass es ein Verb, crowdfunden,
hervorgebracht habe. „Hier bleibt abzuwarten, welches Partizip sich durchsetzt
– gecrowdfundet oder crowdgefundet.“
Auf den zweiten Platz
setzte die Jury das Wort Hipster, ein älteres Lehnwort, das aber seit
einigen Jahren einen Bedeutungswandel hin zu einer abfälligen Bezeichnung für
eine urbane, sich dem kulturellen Mainstream verweigernde Jugendkultur erfahren
hat. „Welche Eigenschaften den Hipster eigentlich ausmachen, bleibt dabei aber
sehr schwammig“, kommentiert Jurymitglied Susanne Flach. „Aber eins ist klar:
Hipster sind immer nur die anderen.“
Auf den dritten Platz
wählte die Jury mit dem Substantiv Fracking ein weiteres klassisches
Lehnwort, das gemeinsam mit einem neuen Verfahren zur Gas- und Ölgewinnung in
die deutsche Sprache übernommen wurde und dort mit fracken ebenfalls ein
eigenes Verb hervorgebracht hat. „Die politische Kontroverse um diese Technik
hat für eine schnelle Verbreitung besonders in den Medien gesorgt“, sagt
Jurymitglied Kilian Evang. „Mit Blick auf das, was Fracking für die Umwelt wohl
bedeutet, hoffe ich allerdings, dass die Relevanz dieses Wortes schnell und
dauerhaft wieder abnehmen wird.“
In der parallel zur
Juryentscheidung durchgeführten Publikumsabstimmung setzte sich ebenfalls das
Wort Crowdfunding durch, gefolgt von gendern, das im allgemeinen
Sprachgebrauch die Verwendung geschlechtergerechter Sprache bezeichnet – häufig
mit einem kritischen Unterton. „Diese Bedeutung ist relativ neu“, sagt Kopf.
„In der Fachsprache bedeutet es eigentlich die gesellschaftliche Konstruktion
von Geschlechterunterschieden oder die politische Rücksichtnahme auf diese.“
Auf dem dritten Platz landete in der Publikumsabstimmung ebenfalls Fracking.
„Obwohl das Englische auch
2012 eine wichtige Quelle für die Erweiterung des deutschen Wortschatzes war,
hielt sich der Einfluss, wie auch in den Vorjahren, doch in Grenzen“, stellt
die Jury fest. Von den gut 60 Vorschlägen waren die wenigsten neu genug oder im
allgemeinen Sprachgebrauch ausreichend stark verankert, um als aktuelles
Lehnwort zu gelten.
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Der
Wettbewerb „Anglizismus des Jahres“ fand erstmals 2010/11 statt. Damals gewann
das Wort leaken als Bezeichnung für das gezielte anonyme Veröffentlichen
geheimer Informationen zum Wohle der Öffentlichkeit. Im letzten Jahr gewann Shitstorm
als Bezeichnung für eine Welle der Entrüstung in den sozialen Medien.
Anatol
Stefanowitsch ist Professor für anglistische Sprachwissenschaft an der Freien
Universität Berlin und Autor beim populärwissenschaftlichen „Sprachlog“.
Mitglieder der Jury waren die Anglistin Susanne Flach (Freie Universität
Berlin, Autorin beim Sprachlog), die Germanistin Kristin Kopf (Universität
Mainz, Autorin beim Sprachlog) und der Computerlinguist Kilian Evang
(Universität Groningen, Autor des „Texttheater“).
Kontakt
Prof.
Dr. Anatol Stefanowitsch
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a.stefanowitsch@sprachlog.de