Dieses Praxisbeispiel bezieht sich auf ein Finanzierungsangebot
aus dem Jahr 2012 als beim Crowdinvesting die stille Beteiligung die gängige
Beteiligungsform war. Inzwischen sind partiarische Nachrangdarlehen
vorherrschend. Eine entsprechende Praxisstudie folgt.
Die Art und Weise, wie man sich an einem Unternehmen beteiligt,
hat in der Regel keinen Einfluss auf die Unternehmensbewertung. Allein der
Zweck der Bewertung ist relevant. Wer vor der Frage steht, sich an einem
bestimmten Unternehmen zu beteiligen oder sein Geld anders zu verwenden, hat
ein investitionstheoretisches Problem zu lösen, indem er mithilfe eines
Kapitalwertkalküls seinen Entscheidungswert ermittelt.
Als Kleinanleger, der 50 €
oder 250 € in eine stille Beteiligung
an einem "kurz und knackig" präsentierten Startup stecken möchte, mag
man sich diese Mühe vielleicht nicht machen. Dann muss aber auch klar sein,
dass dieses Geld eher den Charakter einer Zuwendung hat. Wer sein Geld
zurückhaben möchte, sobald die stille Beteiligung kündbar ist, muss genauer
hinsehen. Dabei fallen merkwürdige Angebote auf den Crowdinvesting-Plattformen
auf, wonach Anteile mit einem Renditeversprechen von mindestens 300 % zum
Nominalwert von 50€/250€ gekauft werden können:
Wer heute 1.000 €
investiert, erhält in vier Jahren 4.000 € zurück (Zitat auf einer
Crowdinvesting-Plattform).
Dass für zukünftige finanzielle Überschüsse der Barwert zu
ermitteln ist, hat sich offensichtlich noch nicht bis zu den Betreibern dieser
Plattform herumgesprochen (Kapitalwertkalkül).
Grund genug, sich eingehender mit derartigen Angeboten zu befassen.
Unternehmensbewertung aus Sicht des
Crowdinvestors
Ein anonymisierter Praxisfall:
Preis pro Anteil an einer vier Jahre laufenden stillen
Gesellschaft: 250 €
Alternative Anlage: Anteil am Investmentfonds ABERDEEN GLOBAL
EMERGING MARKETS, Zeitraum 4 Jahre, Rendite 38,6 % p.a.
Wird im Rahmen einer Unternehmensbewertung die
Entscheidungsalternative (das Basisprogramm)
des Käufers betrachtet, sind Äquivalenzanforderungen zu beachten, wie sie von
Inga DEHMEL und Michael HOMMEL beschrieben werden (Dehmel/Hommel,
Äquivalenzanforderungen in der Unternehmensbewertung, S. 119-136, in:
Petersen/Zwirner/Brösel, Hrsg., HANDBUCH
UNTERNEHMENSBEWERTUNG, Bundesanzeiger Verlag, 2013). Aus Gründen der
Vereinfachung wird in diesem Praxisfall davon abgesehen und kurzerhand
angenommen, dass der oben genannte Investmentfonds eine äquivaltente Anlageform
des Käufers sei.
Startup
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2012
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2013
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2014
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2015
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2016
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Beträge in €
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EBIT
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822.219
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Ausschüttbarer Gewinn
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des Unternehmens
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-54.673
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52.603
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142.726
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227.738
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705.780
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Gewinnanteil des
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stillen Gesellschafters
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0,0375%
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0
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20
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54
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85
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265
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Nominalwert stille Einlage
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250
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Rückzahlung stille Einlage
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1.849,06
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Kapitalisierungszins
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38,60%
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Unternehmenswert laut
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Investmentangebot
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667.000
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Barwerte
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14
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28
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32
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573
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Wert der stillen Einlage
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647
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Demnach war ein Anteil in Höhe von nominal
250 €, der 2012 in
dieser Höhe einbezahlt worden ist, per 31.12.2012 insgesamt 647 € wert (Summe der Barwerte). Das sind zwar
bei weitem keine 300 % Rendite auf den einbezahlten Betrag, aber der Wert
des Anteils an der stillen Gesellschaft liegt deutlich über dem dafür
bezahlten Preis.
Der Betrag für die erstmals mögliche
Rückzahlung der stillen Einlage wurde - den Angaben des Plattformbetreibers
entsprechend - wie folgt berechnet: EBIT 2016 in Höhe von 822.219 € multipliziert mit dem Faktor 6 (Gemäß
Beteiligungsvertrag) = 4.933.314 € dividiert durch den Unternehmenswert laut
Investmentangebot in Höhe von 667.000 (Die Berechnung dieses Wertes ist
nicht transparent) = Faktor 7,3962. Nominalwert der stillen Einlage 250 € multipliziert mit dem Faktor 7,3962 =
1.849,06 €. Die
Vorgehensweise des betreffenden Plattformbetreibers ist also eindeutig auf
den Exit im Jahre 2016 orientiert; die Gewinne der Vorjahre fließen in
keiner Weise in die vertragsgemäße Berechnung des "Unternehmenswerts"
bei Kündigung ein.
Im Jahr der Beendigung der stillen Einlage,
im Praxisfall ist es das Jahr 2016, wird der "Unternehmenswert"
nach den Informationen auf der Crowdinvesting-Plattform gemäß der Formel
"EBIT x 6" berechnet. Offen bleibt jedoch die Frage, wie hoch der
Rückzahlungsbetrag für die stille Einlage ist, wenn der Unternehmenswert im
Jahre 2016 niedriger ist als der Unternehmenswert laut
Finanzierungsangebot. Muss sich der Inhaber der stillen Beteiligung
Wertverluste zurechnen lassen? Der vorgenannten Formel für den
"Unternehmenswert" entsprechend, können Wertverluste auch dann
eintreten, wenn das Startup keine Verluste macht:
Startup mit Wertminderung
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2012
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2013
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2014
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2015
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2016
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Beträge in €
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EBIT geschätzt
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17.475
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Ausschüttbarer Gewinn
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des Unternehmens
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-54.673
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0
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5.000
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10.000
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15.000
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Gewinnanteil des
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stillen Gesellschafters
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0,0375%
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0
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0
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2
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4
|
6
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Nominalwert stille Einlage
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250
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Rückzahlung stille Einlage
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39,30
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Kapitalisierungszins
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38,60%
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Unternehmenswert laut
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Investmentangebot
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667.000
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Barwerte
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0
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1
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1
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12
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Wert der stillen Einlage
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14
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Das Kommunikationsverhalten des
Plattform-Betreibers lässt aus der Sicht des Crowdinvestors sehr zu
wünschen übrig.
Unternehmensbewertung
aus Sicht des zu finanzierenden Startups
Dem stillen Gesellschafter kann entweder
eine feste Verzinsung seiner Einlage angeboten werden, oder - wie es beim
Crowdinvesting üblich ist - ein Gewinnanteil. Im Praxisfall erhält der
Crowdinvestor auf einen Anteil von 250 € einen Gewinnanteil in Höhe von
0,0375 %. Bei einem Finanzierungslimit von 100.000 € werden 400 Anteile
ausgegeben. Insgesamt würde das Startup also 15 % seines jährlichen Gewinns
an die stillen Gesellschafter ausschütten. Die an einer möglichst hohen
Liquidität für den Geschäftsbetrieb interessierte Geschäftsführung des
Startup muss jedoch aus betriebswirtschaftlicher Sicht bestrebt sein,
die jährlichen Gewinne zu minimieren.
Besonders wichtig ist dies im Jahr der
erstmals möglichen Beendigung der stillen Gesellschaft, um zu vermeiden,
dass die stillen Gesellschafter an Wertzuwächsen partizipieren und dem
Startup Liquidität entziehen. Im Worst Case - Szenario des Praxisfalls
müsste das Startup bei einem planmäßigen Verlauf für die 400 ausgegebenen
Anteile einen Betrag in Höhe von 739.624 € (= 1.849,06 € x 400) an die stillen Gesellschafter
zurückzahlen. Hinzu käme ein Gewinnanteil für das Jahr 2016 in Höhe von
106.000 € (265 € x 400). Insgesamt würde den stillen
Gesellschaftern eine Summe in Höhe von 845.624 € zufließen. Bei kumulierten Gewinnen der
Jahre 2013 bis 2016 von 1.128.847 € wären das 75 % der bis dahin
erwirtschafteten Gewinne des Startup.
Der vom Plattform-Betreiber festgelegte
Berechnungsmodus für den "Unternehmenswert" im Jahr der
Beendigung der stillen Gesellschaft wird zwar bei erwartetem planmäßigem
Geschäftsverlauf des Startup viele Crowdinvestoren anlocken, liegt jedoch
keinesfalls im Interesse des Unternehmens. Diese Regelung muss sogar als
für das Startup existenzgefährdend betrachtet werden.
Hier liegt also ein Interessenkonflikt
zwischem Startup und Plattform-Betreiber vor. Dieser Konflikt kann nur
dadurch vermieden werden, dass die Phase nennenswerter Gewinne auf die Zeit
nach der erstmals möglichen Kündigung der stillen Gesellschaften verschoben
wird. Das würde jedoch wiederum Konflikte mit den Crowdinvestoren nach sich
ziehen.
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