Sonntag, 3. März 2013

Wie intelligent ist der Schwarm?

Was hat die kollektive Schwarmintelligenz an den Aktienmärkten mit Lionel Messi gemein? Lothar Lochmaier über umjubelte Superstars, denen stets die Ersatzbank droht.

25. Februar 2013
von Lothar Lochmaier

Die „Preisfrage“: Sind die neuen Modelle aus der interaktiven Welt des „sozialen“ Aktienuniversums tatsächlich eine wirtschaftlich solide Alternative zum großen Blendwerk in der Finanzindustrie, bei dem zweifellos die Gebühren für die Anbieter - und nicht der Mehrwert für den Käufer - im Vordergrund steht? Wo also verläuft die Grenzlinie jenseits der Schwarz-Weiß-Malerei?

Anders ausgedrückt: Kann es für einen durchschnittlichen Anleger überhaupt ein realistisches Ziel sein, mithilfe einer finanziellen Interessengemeinschaft wie ein professioneller Börsenakteur an den Kapitalmärkten zu handeln - und damit über einen längeren Zeitraum erfolgreich zu sein? Wieso sollte gerade die Masse besser sein als neun von zehn Fondsmanager, die den Markt ebenfalls nicht schlagen? Um es gleich zu sagen: Es gibt noch keine überzeugenden Antworten auf diese Frage.


Lothar Lochmaier, freier Fach- und Wirtschaftsjournalist, Berlin


Marktmacht bringt Nachteile


Blicken wir zunächst auf die „Sollseite“ der finanziellen Schwarmintelligenz: Das Risiko besteht darin, dass eine höher frequentierte Social Trading-Plattform auch dazu verwendet wird, bewusst oder unbewusst die Kurse in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen. Indes erscheint diese Gefahr erst real, wenn die Reichweite einzelner Betreiber im Netz groß genug wäre, um signifikante Bewegungen an den Börsenhebeln auszulösen - ähnlich wie dies professionelle Versender von Spam durch manipulierte Kauf- oder Verkaufsempfehlungen tun.

Anders ausgedrückt: Marktbeherrschende Strukturen wären gerade bei kapitalmarktorientierten Börsenportalen nachteilig. Je verteilter und dezentraler die kollektive Schwarmintelligenz an den Kapitalmärkten operierte, je weniger sich neue Monopole der Informationsverteilung herausbildeten, umso geringer fiele das Risiko von gravierenden Fehlentwicklungen aus. Die Praxis schlägt jedoch auch hier die graue Theorie.

Forschung zum Herdentrieb an der Börse


Andererseits schenken viele Anleger einer Empfehlung erst dann wirklich Glauben, wenn die Zahl derjenigen groß genug ist, die einem konkreten Tipp(geber) Folge leisten. Die Herausforderung besteht also darin, den „Herdentrieb“ produktiv zu bewältigen. Denn an der Börse gewinnt nicht derjenige, der der Masse folgt, sondern nur jener, der das Verhalten anderer Anleger möglichst genau reflektiert, erkennt und konsequent für sich ausnutzt.

Kurzum: Jede relevante Information muss gegen den Strich gebürstet sein. Folglich muss sich der Social Trader gegen die „kollektive Schwarmintelligenz“ stellen, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Zumal auch die verhaltensorientierte Kapitalmarktforschung bestätigt, dass rund drei Viertel aller an der Börse aktiven Privatanleger bei dem Versuch scheitern, dort über einen längeren Zeitraum erfolgreich zu sein.

Die Herausforderung steckt deshalb im Kleingedruckten: Die „Weisheit der Vielen“ wäre so zu kondensieren, dass daraus zuverlässige Prognosen und aussagekräftige Entscheidungsgrundlagen entstehen. Einen theoretisch schlüssigen Erklärungsansatz gibt es hierzu nicht. Bislang sind technisch-soziale Aspekte des Marktversagens oder –erfolgs im Zuge von „Herdenverhalten“ und anderen marktverzerrenden Effekten in keinem Prognosemodell erfasst, damit sich Vorhersagen als wirklich belastbar und somit beliebig reproduzierbar erweisen.

Das Lionel-Messi-Prinzip


Blicken wir aber positiv nach vorne. Denn andererseits ist der Lerneffekt im Turbogang durch Social Trading beachtlich. Das Prinzip, nur „von den besten Aktienhändlern“ zu lernen, um von deren Performance zu profitieren, kann mittelfristig durchaus Erfolg versprechend sein. Aber: Nicht der Breiten-, sondern der Spitzensport gibt hier den Ton an.

Dies bedeutet eine harte Marktauslese der Besten, quasi im Minuten- und Stundentakt. Ein heute noch erfolgreicher privater Tippgeber kann morgen schon wieder draußen vor der Türe stehen. Nur wenn der Coach der Mannschaft, also der Social Trading-Plattformbetreiber, die besten Spieler bei „Versagen“ sofort austauscht, sich diese also fortlaufend behaupten müssen, lässt sich eine überdurchschnittliche Performance zum Wohle des finanziellen Schwarms erzielen.

Es ist wie bei den besten Profivereinen im weltweiten Fußballzirkus: Es gibt heutzutage für niemanden mehr eine Garantie auf einen Stammplatz. Heute noch kann der erfolgreiche Aktienhändler ein von den Massen frenetisch gefeierter Star sein, wie beim FC Barcelona beispielsweise der argentinische Supertorjäger Lionel Messi. Und beim nächsten Spiel sitzt der zuvor noch Umjubelte dann plötzlich wegen ein paar misslungenen Aktionen auf der Ersatzbank.

Letztlich fehlt die Reichweite


Ungeachtet von theoretischen Modellen professionalisieren sich bei gleichzeitig harter Marktauslese die Social Trading-Plattformen weiter. Fest steht aber auch: Ohne entsprechend große Kundenzahl und relativ konstante Einlagenvolumina bleibt es beim fragmentierten Hobbycharakter der Empfehlungsportale, denen letztlich die Reichweite für ein konzeptionell schlüssiges und gleichsam profitables Geschäftsmodell fehlt. Dabei muss es jedoch nicht bleiben, denn der Gang zum Investmentfonds mit überzogenen Gebühren ist nicht unbedingt die bessere Alternative.